Biodiversität als Chance: Wirtschaft und Wohlstand hängen von intakten Ökosystemen ab

Parlamentarischer Kaminabend der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und des Verbands Klimaschutz-Unternehmen

„Ich habe den Eindruck, dass wir am Beginn einer Debatte zum Thema Biodiversität stehen, wie ich sie vor zehn, fünfzehn Jahren in Sachen Klima erlebt habe“, stellte Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in seiner Begrüßung zum Kamingespräch fest. Zu der Veranstaltung hatten seine Stiftung und der Verband Klimaschutz-Unternehmen gestern Abend ins Berliner Regierungsviertel eingeladen. Vor Gästen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft hob Bonde hervor, „dass Wirtschaftsakteure gut beraten sind, sich dem Thema Biodiversität offiziell anzunehmen“.

Unter der Biodiversität verstehen die Vereinten Nationen die Vielfalt aller lebenden Organismen, Lebensräume und Ökosysteme auf dem Land, im Süßwasser, in den Ozeanen sowie in der Luft. Das Kamingespräch biete die Möglichkeit, laut Bonde, sich über Wege zu einer naturverträglichen Wirtschaft sowie über die Potenziale und Herausforderungen des unternehmerischen Handelns auszutauschen. So dränge sich das Thema regelrecht auf, es in Runden wie dieser anzugehen. Der Weltnaturgipfel in Montreal im vergangenen Jahr habe zu politischen Diskussionen geführt, „wo die Politik auf globaler Ebene, einen wichtigen Schritt zum Artenschutz und Biodiversität vorangegangen ist“, so der DBU-Generalsekretär.

Philipp Andree, Geschäftsführer des Verbands Klimaschutz-Unternehmen, sagte in seiner Begrüßung an die Teilnehmenden: „Alle Entscheidungen müssen auf der Grundlage getroffen werden, dass die gesamte Wirtschaft und unser aller Wohlstand von intakten Ökosystemen abhängen.“ Die Klima-, Energie- und Artenkrise erforderten mehr denn je einen direkten und kontinuierlichen Austausch zwischen Wirtschaft und Politik. Dabei gehe es darum, den richtigen Weg zu finden: Zwischen den langfristigen Zielen, die wir dringend erreichen müssen und kurzfristigen Maßnahmen, bei denen wir nur auf Sicht fahren können. Andree erklärte: „Wir müssen die Biodiversitätskrise und Gegenmaßnahmen als Chance und nicht als Belastung sehen.“ Er denke hierbei etwa daran, naturverträglicher und stärker im Kreislauf zu wirtschaften oder an neue Geschäftsmodelle.

„Wir verlieren diese Arten in einer enormen Geschwindigkeit“

In einem fachlichem Impulsvortrag sagte Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF), dass die Dimension der Krisen, in der wir uns befinden, gar nicht ausreichend erfasst sei. Eines sei sicher, so überragen die Klima-, die Biodiversitätskrise und Pandemien die Dimension von Zeit und Raum. „Alle drei Krisen sind menschengemacht und alle drei Krisen hängen eng miteinander zusammen“, so der Biologe, der im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Umweltpreis der DBU ausgezeichnet wurde. Schenck zitierte eine aktuelle Studie, nach der zwei Millionen Tiere- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind. „Wir befinden uns im sechsten Massensterben auf diesem Planeten“, erklärte er und wies darauf hin, dass es das erste Massensterben sei, was von einer einzigen Art ausgelöst werde, nämlich der des Menschen. Mittlerweile sei die Aussterbewahrscheinlichkeit um den Faktor 100 bis 1.000 erhöht, „wir verlieren diese Arten in einer enormen Geschwindigkeit“, so der Wissenschaftler. Durch die Reduktion der biologischen Vielfalt züchte die Menschheit ihre eigenen Krankheiten. „Es ist nicht die Frage, ob wir wieder eine Pandemie bekommen, sondern es ist die Frage, wann wir sie bekommen und wie schwer sie ausfällt“, warnte er.

Einen der größten Kipppunkte sieht er im Verlust des Regens und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Regenwälder: „Regenwald heißt Regenwald, weil er Regen braucht“, so Schenck. Habe man keinen Regen mehr, sterbe der Regenwald. „Es gibt nichts Besseres, was wir zurzeit tun können, als Waldschutz zu betreiben und aufzuhören diese Wälder zu zerstören“, betonte er. Bereits in den vergangenen 30 Jahren habe die Menschheit ungefähr die gesamte Fläche der Größe der gesamten Europäischen Union zerstört. Von neun planetaren Belastungsgrenzen seien bereits sechs überschritten. Eine davon besonders, nämlich jene des Verlusts der biologischen Vielfalt.

Schenck appellierte, dass alle bei der Biodiversität gefordert seien und sprach von vier Stellschrauben im System. Und sieht hier die Politik, die Real- und Landwirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger in der Pflicht. „Wir brauchen die Kreislaufwirtschaft, wir brauchen das Ende der schädlichen Subventionen“, so Schenck. Und empfiehlt Unternehmen: „Gehen sie zur Politik und sagen Sie, wir wollen den Abbau schädlicher Subventionen, gebt uns eine Sicherheit, gebt uns einen Pfad, dass wir damit umgehen können.“

Mit den richtigen Ansätzen Biodiversität fördern

Anschließend an den Vortrag Schencks sprachen die Vertreter zweier Klimaschutz-Unternehmen, Aldi Süd und Pöppelmann, welche Bedeutung die Biodiversität für ihre Unternehmen hat und welche Anstrengungen sie in diesem Bereich unternehmen. Lina Vollmer, Manager Public Affairs bei Aldi Süd, stellte klar, dass ihr Unternehmen führender Bio-Händler im eigenen Vertriebsgebiet bleiben wolle. Zugleich habe Aldi Süd den Anspruch, „Bio für alle zu schaffen“. Aufgrund der Zusammenarbeit bei Eigenprodukten mit „Naturland“, dem Verband für ökologischen Landbau, habe Aldi Süd viel strengere Vorgaben als etwa die EU für Bioprodukte vorgebe. Zur Einordnung: Die Naturland-Landwirte leisten durch die Umsetzung der Naturlandrichtlinien einen Beitrag zum Schutz und der Förderung der Artenvielfalt. Im Rahmen der neuen Marke „Nur Nur Natur“ arbeitet der Discounter ebenfalls mit Naturland zusammen. Im Fokus der neuen Marke: ursprüngliche Rezepturen, guter Geschmack und höchste Qualität in ihrer natürlichen Form. Außerdem wies Vollmer auf den Haltungswechsel hin. So sieht sich Aldi Süd in der Verantwortung, das Tierwohl in der Nutztierhaltung zu fördern. „Wir möchten uns mit dem gesamten Ernährungssystem beschäftigen“, sagte Vollmer. So habe Aldi Süd als Händler konkreten Einfluss darauf.  

Für Matthias Lesch, Geschäftsführer des Unternehmens Pöppelmann, ist klar: „Es gibt keinen größeren Hebel, die CO2-Emissionen zu senken als durch Kreislaufwirtschaft." Klimaschonende Lösungen werden in den Märkten rund um die kunststoffverarbeitende Industrie immer mehr nachgefragt. Lesch: „Wenn man es richtig macht, bedient die Kreislaufwirtschaft die Biodiversität und den Klimaschutz, als auch das Thema Ressourcenschonung.“ Besonders in Deutschland sei das Thema Ressourcenverfügbarkeit im vergangenen Jahr in den Fokus gerückt. Pöppelmann will weiterhin mit gelebter Nachhaltigkeit die Zukunft der Branche mitgestalten und verfolgt konsequent seine Klimastrategie. Nicht zuletzt ist die Nachhaltigkeit in der Unternehmenskultur des Kunststoffverarbeiters verankert. Pöppelmann kooperiert mit der unabhängigen Organisation Science Based Targets initiative (SBTi). Die Klimaziele des Unternehmens stehen im Einklang mit dem 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens.

„Uns ist wichtig, Unternehmen ins Tun zu bringen“

Nach dem Impuls von Lesch ging es um die Frage, wie Unternehmen in Richtung Biodiversität bewegt werden können. Diese Frage beantwortete Sofie Geisel, Geschäftsführerin der DIHK Service GmbH & Mitglied der Hauptgeschäftsführung der DIHK: „Unser Hebel ist vor allen Dingen, anderen Unternehmen zu erzählen, was andere Unternehmen machen.“ Ihre Organisation gebe gerne Unternehmen Instrumente an die Hand, wie niederschwellig gestartet werden kann. Der zweite Schritt sei es dann, Anreiz zu schaffen, um zum Nachmachen zu animieren. „Uns ist es immer wichtig, Unternehmen ins Tun zu bringen und dann zu sagen, und jetzt ist aber noch nicht Schluss.“ Da das Thema Biodiversität gar nicht mal so leicht sei, mache es Sinn, „Unternehmen aufzuzeigen, was möglich ist“. Zugleich müsse man ein Bewusstsein für den Biodiversitäts-Footprint schaffen, da einige gar nicht wüssten, dass sie überhaupt einen haben. Um das Thema stärker ins Bewusstsein zu rücken, hat die DIHK im Rahmen des Projekts „Unternehmen Biologische Vielfalt“ vor zwei Wochen Preise an Vorreiter-Betriebe im Rahmen des Wettbewerbs: „Die Lieferkette lebt: Lieferketten transformieren, Biodiversität integrieren verliehen. Für Geisel ein wichtiges Signal und ein Anfang, mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Abschließend betonte sie in ihrem Impuls, dass es richtig sei zu sagen, „wie groß die Bedrohung durch die Biodiversitätskrise ist, aber wenn wir paralysiert sind, weil die Bedrohungen so groß sind, dann haben wir nichts davon.“  

Fotocredit aller Bilder: © Jens Schicke
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