Digitale Produktpässe sind ein zentrales Element der europäischen und nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategien und sollen über eine EU-Verordnung zum Ökodesign für nachhaltige Produkte europaweit eingeführt werden. Bundesumweltministerin Steffi Lemke präsentierte im Juni einen Entwurf für eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS). Im Auftrag des Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) untersuchten die Mitglieder Prof. Christa Liedtke und Philipp Andree zusammen mit dem Wuppertal Institut, dem Verband Klimaschutz-Unternehmen und der Universität Kassel, vor welchen Herausforderungen Verbraucher*innen und Unternehmen bei Entwicklung und Umsetzung digitaler Produktpässe stehen. Die Ergebnisse in Form eines Werkstattberichts liegen nun vor.
Bewusstsein für Nachhaltigkeit schaffen und unterstützen
„Kreislaufwirtschaft bedeutet Nachhaltigkeit. In Produktpässen soll neben Daten zu verwendeten Materialien auch erfasst werden, welche Lebensdauer Produkte haben, wieviel Energie sie verbrauchen, wo Ersatzteile verfügbar sind oder ob, wie und wo Produkte oder Bauteile repariert, recycelt, weiterverkauft oder entsorgt werden können. Das ist für Verbraucher*innen sehr interessant. Damit können wir in Gesellschaft und Wirtschaft ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit schaffen. Produktpässe unterstützen, dass die Wirtschaft nachhaltige Produkte anbietet und Verbraucher*innen sie wählen können“, sagt Prof. Christa Liedtke, Leiterin der Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren am Wuppertal Institut und Professorin im Industriedesign an der Universität Wuppertal. Sie betont: „Mit Produktpässen bekommen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft einen Bildungsauftrag. Damit Verbraucher*innen und Beschäftigte mit den Daten umgehen und sie effektiv nutzen können, brauchen sie das notwendige Werkzeug. Dafür brauchen wir nicht nur technische Schnittstellen für Verbraucher*innen-Apps oder ein einheitliches Design mit hohem Wiedererkennungswert. Produktpässe müssen sich an die Bedürfnisse der Menschen in der jeweiligen Anwendung anpassen. Deshalb müssen wir sie von Anfang an mit verschiedenen Gruppen aus Gesellschaft und Wirtschaft gemeinsam gestalten.“
Transparenz und Datenschutz ausbalancieren
Liedtke empfiehlt: „Ziel sollte sein, dass Verbraucher*innen zu Nutzer*innen werden, die ihre Rechte und Pflichten wahrnehmen und Kreislaufwirtschaft aktiv mitgestalten können. Vorhandene Kompetenzen müssen genutzt, fehlende Qualifizierung angeboten werden. Mit den erfassten Daten bringen Produktpässe die nötige Transparenz, auch Siegel könnten hilfreich sein. Verbraucher*innen sollten selbst entscheiden können, welche Daten sie frei- und eingeben. Genauso müssen Unternehmen ihre Daten schützen können, wenn sie weiter innovativ sein und die Kreislaufwirtschaft voranbringen sollen.“
Mehrwerte für Verbraucher*innen und Unternehmen aufzeigen
Auch Philipp Andree als Geschäftsführer vom Unternehmensnetzwerk Klimaschutz-Unternehmen sieht die Vorteile: „Der Digitale Produktpass bietet viele Mehrwerte für Verbraucher*innen und Unternehmen. Wichtig ist, dass wir die klar kommunizieren. Wenn wir beispielsweise Daten wie CO2-Fußabdrücke dezentral und standardisiert erfassen, lassen sie sich besser kontrollieren. Das macht Vergleiche einfacher und fördert den Wettbewerb. Unternehmen brauchen zentrale Schnittstellen, an denen sie ihre Daten für Berichte einspeisen. So können wir die Berichterstattung vereinheitlichen und Unternehmen können die Daten für verschiedene Reportings nutzen.“
Strukturen für Governance und Finanzierung ausarbeiten
„Doch wir dürfen auch die Herausforderungen nicht vergessen. Kreislaufwirtschaft bedeutet für Unternehmen auf nachhaltige Geschäftsmodelle umzustellen. Digitale Produktpässe einzuführen, kann zusätzlichen Aufwand und Kosten verursachen. Sie müssen außerdem für unterschiedliche Sektoren und Produktgruppen angepasst werden. Daten nachzupflegen ist besonders für kleine und mittlere Unternehmen ein erheblicher Mehraufwand. Wer soll das bezahlen? Die Kosten dürfen weder die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gefährden, noch die Akzeptanz von Verbraucher*innen für teurere Produkte. Wichtig ist es deshalb, die Anforderungen von Kreislaufwirtschaft schon in der Entwicklung praktisch zu testen“, so Andree.
In drei digitalen Workshops zu „Kreislaufwirtschaft für Verbraucher*innen datengestützt gestalten” diskutierten Expert*innen zwischen Oktober 2023 und März 2024 Herausforderungen, Chancen und Ansprüche an einen Digitalen Produktpass aus Verbraucher*innen- und Unternehmensperspektive. Zentrale Fragestellungen waren: Welche Anforderungen ergeben sich aus verschiedenen Perspektiven für die Weiterentwicklung und Gestaltung des Produktpasses? Welche Rahmenbedingungen und Infrastrukturen benötigen sie? Der Werkstattbericht fasst die Ergebnisse zusammen, geht auf Fragen und politische Herausforderungen ein.
Prof. Dr. Christa Liedtke leitet die Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren am Wuppertal Institut, ist Professorin an der Universität Wuppertal für Industriedesign und Co-Chair der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit wpn2030. Philipp Andree ist Geschäftsführer der Exzellenzinitiative KlimaschutzUnternehmen e.V. mit aktuell 69 Mitgliedern.
Der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) ist unabhängig und berät auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus der Praxis das Bundeministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz bei der Gestaltung der Verbraucherpolitik. Der Sachverständigenrat hat neun Mitglieder. Vorsitzender des Sachverständigenrats ist Prof. Dr. Christoph Busch.
Der Werkstattbericht und weitere Veröffentlichungen des SVRV sind abrufbar von www.svrverbraucherfragen.de. Folgen Sie uns auf X/Twitter @SVR_Verbraucher.
Zum Werkstattbericht als PDF.
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